Neulich erzählte mir ein Freund folgende Geschichte:
Er saß mit einem Kollegen zusammen und im Radio lief ein bekannter Song aus den 60er und keinem der beden wollte partout der Interpret geschweige denn der Titel des Songs einfallen. Als ein weiterer Kollege dazukam, zückte dieser kurzerhand sein iPhone, hielt es an die Boxen und das iPhone klärte die Herren ausführlich über den Song auf.
Diese Funktion (neusprech: App) war mir bereits aus einer Werbung bekannt und prinzipiell finde ich es ja genial. Aber …
Ich gebe offen und ehrlich zu, dass ich nach dem Motto lebe „Wissen ist, wissen wo es steht“. In Zeiten von Google und Co. muss ich jetzt aber anfangen zu differenzieren, denn zu wissen, wo es steht, kann ich nicht mit Google gleichsetzen.
Früher hat das Wissen zu wissen, wo etwas steht, impliziert, dass ich mich bereits einmal mit der Materie befasst habe, mir die Details nicht gemerkt habe, dafür aber, wo ich nachschlagen kann. Wenn mich heute also jemand fragt, wie ich den Lösungsraum einer Gleichung mit drei Unbekannten ermittel, sag ich demjenigen: Das machst du mit dem Gauss-Algorithmus. Da ich das aber schon lange nicht mehr gemacht habe und nicht mehr so hundertprozentig fit in Linearer Algebra bin, sag ich ihm auch: Das hab ich meinen Skripten und einem Buch stehen – ich such es dir raus.
Heute würde ich mich an meinen PC klemmen, der ja sowieso immer an ist und dank Flatrate auch immer online ist, die große Suchmaschine mit den 6 bunten Buchstaben öffnen und eintippen: „Lösungsraum Gleichung Unbekannte“ und die eines der ersten Suchergebnisse würde mich aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine Seite führen, die mir den Gaussalgorithmus erklärt.
Der kleine aber feine Unterschied ist, dass ich im zweiten Fall mich mit der Materie in keinster Weise beschäftigen muss und meine Hirnwindungen brav weiter auf Sparflamme züngeln.
Zurück zu der Geschichte meines Freundes. Wir beide waren uns einig, die App ist genial, aber wir verblöden. Wir haben also überlegt, wie hätte ich den Songtitel erfahren, wenn es diese App nicht gäbe.
1. Wir hätten genau auf den Text des Liedes geachtet, insbesondere des Refrains und eventuell auf charakteristische Merkmale des Sängers.
2. Wir wären ins nächste Musik-Geschäft gegangen und hätten der Kompetenten Fachkraft von dem Lied erzählt.
3. Weil die Fachkraft im Geschäft so kompetent ist und Musik ihr täglich Brot ist, hätte sie uns sofort gesagt, wer der Interpret ist und wie der Titel heißt und uns gleich noch ne CD aufgeschwatzt.
Alternativ hätten wir beim Radiosender angerufen und wären einen ähnlichen Weg beschritten.
So oder so, wir hätten uns mit dem Lied beschäftigt wie mit einem Feinschmeckermenü und es nicht einfach konsumiert wie Pommes-Rot-Weiß.
Was hat das jetzt mit der Informationsgesellschaft zu tun?
Es gibt verschiedene Stufen, wie sich Wissen zusammensetzt. Ganz unten stehen die Daten, eine Ansammlung von Zeichen, Symbolen, etc. ohne erkennbaren Zusammenhang. Stellt man zwischen Daten einen Zusammenhang her, entsteht daraus eine Information. Eine Information allein kann bereits hilfreich sein, bringt uns in der Regel aber nicht weit. Was will ich mit der Information, dass der Himmel blau ist? Ok – spätestens jetzt weiß ich es, aber was bringt es mir? Eine Information allein hat nur einen geringen Wert. Wertvoll wird sie erst durch die (sinnvolle) Verknüpfung mit anderen Informationen zu Wissen.
Wissen ist also vielmehr die Verknüfung selbst. Computer können nur Verknüpfungen darstellen, die der Mensch ihm vorher eingibt. Neue Verknüpfungen und somit neues Wissen können Computer so nicht erzeugen. Das Erzeugen neuer Verknüpfungen ist grob gesagt Ziel des Semantic Webs, welches von Tim Berners Lee als Erweiterung des WWW gedacht war – man könnte es also als die ursprüngliche Vorstellung des Web 2.0 sehen.
Unsere Informationsgesellschaft basiert darauf, dass wir jederzeit und überall Zugriff auf Informationen haben – wir werden regelrecht von ihnen überflutet. Die Verknüpfungen allerdings werden nur selten mitgeliefert und sind nicht immer richtig, nur weil Google sie als erstes Ergebnis präsentiert.
Aber genau das passiert heutzutage immer häufiger und in Zukunft immer mehr.
Ohne es zu merken, werden unsere Geschmacksnerven stumpf und wir halten Pommes-Rot-Weiß für Feinkost. Den wahren Feinschmecker wird es kaum noch geben.
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