Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich die Idee, mich wieder etwas unabhängiger zu machen in der Reiterei und das hieß konkret: Ich möchte Gespann fahren können.
Mit meinem einfachen Führerschein der Klasse B durfte ich nur ganz ominöse Konstruktionen von Gespannen fahren. U.a. durfte ich kleine Hänger fahren bis hin zu einem leeren Pferdeanhänger fahren, was mir in Bezug auf die Reiterei nicht viel bringt. Aber dazu gleich mehr. Abgesehen davon wusste ich nur rudimentär, wie man einen Hänger rangiert und spätestens, wenn ich lebende Fracht transportieren möchte, wollte ich fundiert wissen, wie.
Also habe ich mich kurzerhand an verschiedene Fahrschulen gewendet mit der Bitte um ein Angebot für den Führereschein der Klasse BE.
Eine der Antworten verwirrte mich zunächst, denn sie brachte eine neue Führerscheinklasse ins Spiel, die ich bisher nicht kannte: B96 oder besser gesagt Führerscheinklasse B mit Schlüsselziffer 96.
Die Fahrschule Peter Görtz in Goch klärte mich umgehend auf, was es mit B96 auf sich hat. Es handelt sich dabei um eine neue Führerscheinklasse, die seit dem 19. Januar 2013 exisitiert und die Umsetzung einer EU-Richtlinie darstellt. Dabei sollte eine Klasse geschaffen werden, die eine Zwischenlösung zwischen B und BE darstellt, ohne Prüfung absolviert werden kann und in der Regel für 80% aller Anwendungsfälle ausreicht. Mein Anwendungsfall – das Führen eines Gespanns mit maximal 2 Pferden – einbegriffen.
Im Zuge der Theorieeinweisung habe ich auch direkt lernen dürfen, dass die komplizierte Rechnerei, wie ich sie damals gelernt habe, um zu ermitteln, welchen Anhänger ich mit welchen Zugfahrzeug ziehen darf (Leergewicht, Gesamtmasse, …) obsolet ist und radikal vereinfacht wurde: 3,5 Tonnen zulässige Gesamtmasse. Das reicht in der Regel nicht aus für ein Gespann mit zwei Pferden, da man hierbei auf etwa 2 Tonnen Gewicht für den Anhänger kommt und bei einem entsprechend dimensionierten Zugfahrzeug an die Grenzen stößt.
Die Führerscheinklasse BE erlaubt eine zulässige Gesamtmasse von 7 Tonnen. Für diese Führerscheinklasse sind neben diversen Pflichtfahrstunden auch eine Prüfung vorgesehen, was das ganze relativ teuer machen kann.
Die Führerscheinklasse B mit Schlüsselziffer 96 liegt quasi in der Mitte. Erlaubte zulässige Gesamtmasse sind 4,25 Tonnen, was einem genug Spielraum für einen Pferdeanhänger und andere Gespanne gibt. Vorteil für den Fahrschüler ist, dass keine Prüfung erforderlich ist und der Führerschein relativ unkompliziert und ohne Prüfungsstress und -bangen erworben werden kann.
Ich hab mich also für genau diese Zwischenlösung entschieden. Mitte März habe ich zunächst an einer dreistündigen Theorieeinweisung teilgenommen. Anschließend ging es auf die Piste. Praktischerweise hatte mein Fahrlehrer Peter Görtz einen Pferdeanhänger als Lehrobjekt und der wurde fix angekoppelt und schon ging es los mit Rangieren. Rückwärts links abbiegen. Peter erklärte mir ein paar einfache Handgriffe, wie man ohne viel Tellerwischen und Rudern den Anhänger in einem Zug um die Kurve bekommt und nach zweimal Ausprobieren, war schon Üben angesagt. Anschließend das Ganze spontan rechtsrum, was tatsächlich schwieriger ist, aber dank elektrischer Seitenspiegel auch in einem Zug machbar ist. Nach einer Stunde üben tat mir dann der Kupplungsfuß weh.
Wir haben uns einen Imbiss gegönnt und sind sogleich zur Überland-, Autobahn- und Stadtfahrt gestartet. In Goch liegt zum Glück alles nah beieinander, so dass alles in der angesetzten Zeit machbar ist.
Zu guter Letzt hieß es nochmal rangieren zum endgültigen einparken, abkuppeln und fertig war die Schulung.
Nun brauchte ich nur noch mit der Teilnahmebescheinigung zum Rathaus und den Umtausch meines B-Führerscheins in einen B96-Führerschein beantragen. Kostenpunkt hierfür sind knapp 40 Euro einschließlich Express-Auftrag bei der Bundesdruckerei (15 Euro).
Im Rathaus war der Beamte dann doch etwas überfordert mit meinem Antrag. Der Führerschein mit der Schjlüsselziffer 96 ist zwar schon seit über einem Jahr eingeführt, beantragt hatte ihn bisher aber niemand. Hintergrund ist, dass viele Fahrschulen den Führerschein gar nicht anbieten. Aus Sicht meines Fahrlehrers liegt das wohl daran, dass der Fahrerlehrer u.a. extra Theorie-Unterricht halten muss, was bei BE nicht der Fall ist.
Nachteil für den Straßenverkehr allgemein an der Sache ist wohl, dass grundsätzlich jeder, der an der Schulung teilnimmt, auch den Führerschein erhält. Es ist ja keine Prüfung erforderlich, was letztlich bedeutet, dass auch untalentierte Fahrschüler, die der Fahrlehrer nicht zur Prüfung vorstellen würde bzw. mehr Praxis machen würde, die Fahrberechtigung erhielte.
Für mich war es genau die richtige Lösung, untalentiert bin ich laut Fahrlehrer auch nicht und wenn mich jemand fragt, würde ich jedem diese Führerscheinerweiterung empfehlen, der lediglich ein Gespann von maximal 4.25t fahren will. Zur Not muss man ganz konkret bei der Fahrschule anfragen.
Erste Gelegenheit, meine neuen Kenntnisse anzuwenden, wird eine „kleine“ Tour nach Hannover sein: Sichtungslehrgang für Trainer C im klassisch-barocken Reiten bei Johannes Beck-Broichsitter.
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