Reiten: Idole Im Viereck?

Normalerweise fällt mir ein Artikel im Sportteil der Süddeutschen Zeitung nicht ins Auge und lesen tu ich ihn noch seltener. Brav blätter ich aber dennoch alle Seiten der heutigen SZ um und mein Blick fiel auf Seite 34 auf das Bild eines mächtigen Rappen in der Galopppirouette und der zugehörige Artikel trug den Namen „Ein unglaubliches Pferd“.
Mein erster Gedanke war: Noch so ein sensationelles Dressurpferd, dass vielleicht spektakulär aussieht, aber dann doch arm dran ist. Skeptisch habe ich angefangen, den Artikel zu lesen.

Totilas unter Edward Gal bei der EM 2009 – spektakulär aber nicht reell [1]
Es handelt sich um Totilas. Ein niederländischer Hengst unter Edward Gal, der vielerorts als Wunderpferd gepriesen wird und mancherorts schon für die Goldmedaille bei Olympia 2012 gesetzt ist. Das sind gewaltige Vorschusslorbeeren, die in dieser Dressurszene aus meiner Sicht jedoch nichts Gutes erahnen lassen, wenn ich so auf Anky van Grunsven und Isabell Werth blicke.
BTW: Das ich mich mit der Turnierszene befasst habe, ist schon sehr lange her und ich hab es selten als schön empfunden, zumal es mit der Zeit immer weniger entspannt wirkte, was Spring- und Dressurreiter dargeboten haben. Spätestens seit einem Vortrag des Rollkur-Kritikers Dr. Gerd Heuschmann im Juli 2009 hab ich mich voll abgewendet von diesem Kommerz und registriere nur noch die Sensationsmeldungen, die zumeist negativer Natur sind.

Positiv an dem Artikel der SZ hab ich empfunden, dass auf die extreme Vorhandaktion kritisch hingewiesen wurde, die Totilas wohl noch vor Kurzem zeigte und die immernoch auffällt, und dass er nun nicht mehr schweißgebadet das Viereck betrete, was als „Schritt zurück zur Natur“ positiv gewertet wurde. Obwohl dies ein kleiner Lichtblick ist, lässt es erahnen, dass Totilas doch eher ein Trugbild ist.

Die Bilder von ihm sind allesamt spektakulär, doch beim Betrachten will sich kein so rechtes Harmoniegefühl einstellen. Die Vorhandaktion von Totilas blendet und lenkt von der rausgeschobenen Hinterhand ab. Verglichen mit manch anderem Dressurpferd, dass in der Piaffe die Hinterhand nur nachzieht und nicht wirklich Gewicht aufnimmt, ist Totilas schon ansehnlicher, aber wie Dr. Gerd Heuschmann es zusammenfasst dennoch „ein falsches Signal an die gesamte Reiterszene„.

Falsche Ideale

Und da liegt doch der eigentliche Hund begraben. Wie in vielen anderen Sportarten auch, werden die Stars der Szene als Idealbilder verklärt und Turnier- und Freizeitreiter eifern dem nach. Rollkur auf dem Abreitplatz, Psychopharmaka, Chili, Barren u.v.m. verursachen ein Raunen innerhalb und außerhalb der Reiterszene, aber verhallt dann doch scheinbar ungehört. Das fällt auch an dem Artikel der SZ auf. Da werden kommentarlos Isabell Werth und Paul Schockemöhle erwähnt, die m.E. auf verachtenswürdige Weise dem Reitsport geschadet haben – die eine durch Doping mit Psychopharmaka und der andere durch Barren im Training.
Im Spitzensport scheint man unter sich zu sein und niemand wird aus dem Nest gestoßen und so schauen weiterhin Generationen von Reitern zu ihnen auf. Was man dann in manchem Stall um die Ecke sehen muss, wundert einen dann kaum noch. Pferde ohne Muskulatur werden durch das Viereck gescheucht und ihnen werden Lektionen abverlangt, die selbst für trainierte Pferde Schwerstarbeit sind. Reelle Arbeit mit (!) dem Pferd sieht man leider immer seltener und auch das vermeintliche Wunderpferd Totilas, das laut SZ-Redakteurin Gabriele Pochhammer ein „Schritt zurück zur Natur“ sei, scheint ein Opfer der Turnierszene zu sein.

Obwohl es mir um jedes Pferd, das stirbt oder sich schwer verletzt, leid tut, freu ich mich für manch designiertes Nachwuchspferd, das auf der Koppel unglücklich stürzt oder an einer Kolik eingeht: Ihm bleibt dieser Zirkus erspart.

 

[1] Quelle: http://www.horsesandsports.de/2009/08/30/em-windsor-2009-edwar-gal-und-totilas-ein-dressurmarchen/