Es geht vorwärts und abwärts …

… und zwar vorwärts-abwärts wie es sein soll.

Vor dreieinhalb Wochen hab ich ja erstmals von Bonita berichtet und dem ersten Ziel „Longieren“. Zunächst hab ich natürlich getestet, was geht: Bonita kann wunderbar im Kreis laufen, aber sobald die Longe ins Spiel kam, klebte sie an mir. Den Einsatz der Longierpeitsche quittierte sie damit, mir ihren Allerwertesten zu zeigen. Da das Longieren auf die Art und Weise nichts bringt und zudem gefährlich ist (bsp. wenn das Pferd beim Bocken in die Longe tritt), sind wir auf 0 zurückgegangen.

Ich hab mit Bonita also zunächst am Kappzaum Biegung und Stellung im Stehen geübt und anschließend im Schritt. Dazu bin ich rückwärts gehend vor Bonita hergegangen. Auf die Art und Weise hab ich Bonita vollständig im Blick und sehe ob sie ausreichend mit dem inneren Hinterbein unter den Schwerpunkt tritt. Tut sie das nicht (was anfangs der Fall war) touchier ich mit der Dressurgerte die Schenkellage. So kann ich einerseits die innere Hinterhand aktivieren und andererseits lernt sie die innere Schenkelhilfe, die ich ja später im Sattel einsetze.
Dieses Spiel habe ich möglichst gleichmäßig auf linker und rechter Hand wiederholt und vor allem jeden kleinen Fortschritt gelobt. Wie jedes Pferd hat Bonita eine angeborene Schiefe, sie geht also auf einer Hand besser als auf der anderen. Im Gegensatz zur menschlichen Händigkeit muss die Schiefe beim Pferd korrigiert werden, wenn es ohne Probleme das Reitergewicht tragen soll: das Geraderichten. Erfahrungsgemäß wechselt die Händigkeit eines Pferdes ab und an. Falsch wäre es, die jeweils schlechtere Hand intensiver zu trainieren als die stärkere, da die Händigkeit sonst ständig umschwenkt und man nie wirklich zum Geraderichten kommt.

Vom Geraderichten sind Bonita und ich noch weit entfernt. Bonita tritt zwar schon gut über, aber sie tritt mit dem inneren, hinteren Huf nicht in den Abdruck des inneren, vorderen Hufes – sie läuft also eher auf drei bis vier Spuren statt auf zwei. Die Biegung erreicht also noch nicht vollständig die Hinterhand. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht so dramatisch, da Bonitas Muskulatur noch etwas fest ist. Da die effektivste Methode, die Rückenmuskulatur zu lockern, die Galopparbeit an der Longe ist, aber Bonita genau das noch nicht kann, ist die Lockerung der Muskulatur nicht von heut auf morgen vollbracht. Aber ich denke, wir befinden uns auf einem guten Weg.

Nachdem Bonita also recht gut untertritt mit meiner Führposition rückwärts vor ihr, habe ich angefangen die Fürhposition langsam zu wechseln. Langsam heißt, dass ich aus dem Rückwärtsgehen langsam in die Führposition an Bonitas Schulter gewechselt bin. Wenn sie dann ein paar Schritte zuverlässig neben mir hergegangen ist unter Beibehalten der Biegung und Stellung, habe ich sie gelobt und die Hand gewechselt. Wenn sie sich quer gestellt hat oder bockig war, bin ich wieder einen Schritt zurück gegangen und habe wieder die rückwärtsgehende Führposition eingenommen. Wenn Bonita die Übung gut vollbracht hat, habe ich die gesamte Übungseinheit beendet. Es bringt nichts, wenn eine kleine Übung nicht funktioniert, sie bis zum Erbrechen durchzuexerzieren. Das bereitet Unmut, stresst und bringt keinen Trainingserfolg, den es aber braucht, damit die gesamte Übungseinheit positiv im Pferdekopf bleibt. Nur so kann ein Lerneffekt eintreten. Ich gebe zu, das ein oder andere Mal eine Übung überstrapazipiert zu haben. Wenn ich so eine Situation erkannt habe, habe ich versucht, zumindest einen richtigen Tritt von Bonita zu erlangen und das mit sofortigen Lob zu verbinden und den Tag zu beenden. Alternativ kann man auch die Übung abbrechen und eine andere, sicher sitzende Übung zum Abschluss durchzuführen. Hauptsache ist, dass man die Einheit mit einem positiven Ereignis beendet statt mit Frust. Eine wichtige Lektion, die ich für mich vergangene Woche dank Lektüre von Kirsten Jung (s. Bild) gelernt habe, ist, dass ein Pferd nicht weiß, was ich beabsichtige: Wenn es also eine Übung anders erfüllt als ich es will, lass ich es glauben, dass das meine volle Absicht war – gerade zu Beginn der Ausbildung sollte man von dieser Methode m.E. reichlich Gebrauch machen statt zu strafen. Andernfalls erhalte ich ein unmotiviertes und saures Pferd.

Nachdem Bonita also relativ stabil neben mir hergegangen ist – also Führposition an der Pferdeschulter – habe ich angefangen meinen Abstand zum Pferd zu vergrößern. Statt den Führstrick direkt am Kappzaum zu greifen, habe ich den Strick bzw. die Longe länger gelassen und bin in Höhe der Schulter in ca. 1 Meter Entfernung von Bonita gegangen. Wenn sie versuchte zu mir zu drängen, habe ich sie mit der Dressurgerte auf Abstand gehalten, indem ich auf ihre Schulter gezeigt habe. Zu Anfang verhallt diese „Gertenhilfe“ leicht, weshalb ich die Gerte verkehrt herum gehalten habe, also mit dem Griff/Knauf zum Pferd. Den stabilen Griff nimmt das Pferd viel eher wahr als die labile Spitze der Gerte. Sobald dies für ein paar Tritte geklappt hat, habe ich Bonita überschwenglich gelobt und die Übung gewechselt.
Ich habe nicht jeden Tag die Übungen erweitert, denn das würde Bonita schnell überfordern und gerade sie reagiert auf Druck und Überforderung mit Bocken und das will ich ihr nicht anerziehen. Die Schulen über der Erde stehen noch in weiter Ferne 😉 Viel sinnvoller – das gilt auch für Menschen wie jedes ander Lebewesen – ist es eh, einmal Gelerntes mehrmals zu wiederholen und zu festigen, bevor man Neues vermittelt.

In diesem Sinne sind Bonita und ich derzeit soweit, dass wir auf der rechten Hand bereits mehrere Zirkel bei ca. 1,5m Führabstand gehen und links einen halben Zirkel bei 1m. Im Vergleich zu ca. 18 Meter Zirkeldurchmesser ist das noch nicht wirklich viel. Aber es ist eine Basis, die wir jetzt festigen werden und auf der wir bald sicher longieren können. Bald heißt nicht nächste Woche. Nächste Woche können wir auch wieder beim einfachen Führen sein, aber solche Rückschritte sind normal.

Wie bereits weiter oben erwähnt, habe ich auf Literatur zurückgegriffen. Zwar kannte ich die Grundlagen der Kappzaumarbeit bereits, aber mein Horizont belief sich dann doch nur weitestgehend auf die Arbeit mit meiner alten Stute Pfefferoni. Pfefferoni war damals schon ein solide ausgebildetes Pferd auf A/L-Niveau, das die Longe kannte und relativ gut gerade gerichtet war. Ein Pferd von Grund auf auszubilden, ist für mich absolutes Neuland. Ohne professionelle Hilfe werde ich das nicht bewältigen. Zu Beginn greife ich auf Literatur zurück und da habe ich – für unseren momentanen Ausbildungstand ideal – auf „Rückentraining mit dem Kappzaum“ von Kirsten Jung gefunden.
Zwar habe ich das Buch noch nicht vollständig gelesen, aber was ich bisher gelesen und gesehen habe, hat mir bereits sehr geholfen. Kirsten Jung erklärt Zustände, Merkmale und Übungen sehr anschaulich und die Bilder im Buch unstreichen des Erklärte sehr treffend. Wer also sein Pferd mit dem Kappzaum trainieren will, sollte ruhig einen Blick in dieses Buch werfen. Dennoch ist es empfehlenswert, sich zumindest einmal von einem erfahrenen Kappzaumnutzer die Handhabung und vor allem die Wirkungsweise eines Kappzaum am Pferd zeigen zu lassen. Dazu gehört auch die Wahl des Kappzaum und die korrekte Einstellung desselben.

Weitere Literatur, die ich empfehlen kann, ist die „Akademische Reitkunst“ von Bent Branderup und natürlich Gustav Steinbrechts „Das Gymnasium des Pferdes“. Ersteres ist ein Überblick über die Reitweise der akademischen Reitkunst mit hilfreichen Darstellungen und Tipps über Hilfegebung, Wirkungen und Ausrüstung vom Einreiten bis zur hohen Schule. Je nach Version des Buches ist eine DVD mit weiteren anschaulichen Tipps enthalten. „Das Gymnasium des Pferdes“ ist natürlich ein Klassiker und quasi Pflicht im Bücherregal eines Reiters. Basierend auf diesem Buch, welches Ende des 19. Jahrhunderts verfasst wurde, wurde die Heeresdinstvorschrift Nr. 12 – die zentrale Vorschrift der Kavallerie der Wehrmacht – und schließlich die geltenden reiterlichen Richtlininen der deutschen reiterlichen Vereinigung (FN) gestaltet. Zwar ist dieses Buch aufgrund seines Alters schwierig zu lesen, die Erläuterungen und Anweisungen sind aber unheimlich lehrreich.