Protokoll einer L-Dressur auf Kandare

L-Dressur auf 20 x 60m
L-Dressur auf 20 x 60m

Ich hatte neulich die Gelegenheit bei einer Dressurprüfung der Klasse L zu protokollieren. Es handelte sich um eine L**-Prüfung auf Kandare und konkret um die L10 der aktuellen Leistungsprüfungsordnung von 2012 auf einem 60er Viereck. Die L-Prüfung selbst ist sehr anspruchsvoll und durchaus zum Übergang zur Klasse M zu sehen. Es werden u.a. Schulterherein, Trabtraversalen, Übergänge vom Mittel- zum starken Schritt verlangt aber auch eine anspruchsvolle Galopptour. Es waren dabei Schlangenlinien auf der Mittellinie in 4 Bögen zu reiten, wobei der erste und vierte Bogen Handgalopp war, der zweite und dritte Bogen Außengalopp und über X musste von einem Außen- in den anderen Außengalopp einfach gewecheselt werden.

Nun bin ich ja kein Turnierreiter und war schon seit Langem auf keinem Turnier mehr. Protokolliert habe ich auf einem Turnier noch nie, aber das sollte der Sache keinen Abriss tun. Meine Erwartungen waren durchwachsen. Oft hört man ja, dass ein Problem der Reiterei bei den Richtern und den regionalen Turnieren läge. Es würde nach Nasenfaktor gerichtet, der oftmals mit Geld zu tun hat und der Rollkur könne hier Einhalt geboten werden, denn immerhin ist das die Basis … Viel Vorurteil also.

Dementsprechend habe ich mich zu Beginn der ersten Abteilung bei C sitzend eher zurückgehalten und erstmal fleißig geschrieben. Zu schreiben gab es viel, da die erste Abteilung aus den eher schwächeren Reiter-Pferd-Paaren bestand und hier sehr häufig die Note 0-5 vergeben wurde, die im Protokoll begründet werden muss. Im Schulterherein war sehr häufig zu viel Abstellung zu sehen, die Verstärkungen und Übergänge innerhalb der Gangarten waren vielfach nicht deutlich genug bzw. gar nicht zu sehen. Leider verritten sich auch einige Reiter. Einige Pferde hatten leider auch keine Nerven, was zu sehr spanningen Bewegungen und tw. groben Ungehorsam führte. Was auch sehr häufig zu sehen war und etwas verwunderlich war, ist, dass die Pferde nicht gerade auf der Mittellinie oder den langen Seiten ging. Sie waren in sich schief und schlecht eingerahmt.
Ich kann nicht sagen, ob die Noten gerechtfertigt waren, da ich dazu schlicht zu wenig Vergleiche habe, die Begründungen allerdings fand ich durchweg passend. Sicher sind sie sehr knapp und wiederholen sich, was einfach an der schnellen Abfolge der Lektionen liegt. Der Richter diktiert nunmal keinen Roman sondern in knappen Worten, was er sieht und die Note: „undeutlich, nicht gerade, zu viel Abstellung, LB & St verbessern (Längsbiegung und Stellung), Kurzkehrt gedreht …“

Bei der zweiten Abteilung, bei der ich mit der Richterin bei H saß, waren fortgeschrittenere Reiter zu sehen, was sich in den Noten und der Menge der Kommentare niederschlägt. Aber auch wenn die Noten in dieser Abteilung selten unter 5 gingen, gab es noch einiges zu schreiben: undeutliche Übergänge, zu großes Kurzkehrt, einfacher Wechsel über zu wenig Schritt. Der Notenschnitt war insgesamt besser, wie zu erwarten, aber auch nicht überragend. Insgesamt ging keine Wertung über 8.

Was mich positiv überraschte, war, dass auch oft zu enge Hälse als Bemekung ins Protokoll ging, genauso wie offene Mäuler und spanninge Tritte. Die Richterin wünschte sich mehr über den Rücken gerittene Lektionen. Auch die Outfits der Reiter wurden – außerhalb des Protokoll natürlich – kommentiert: ein Herr in Lacksteifeln, Strass wohin man nur schaut … Nix davon beeindruckte die Richter, genauso wenig, wie vergangene Leistungen, denn man kennt sich selbstverständlich in der Region und tw. darüber hinaus.

Das gesamte Feld von ca. 50 Pferd-Reiter-Paaren war sehr durchwachsen und mit Blick auf die schwere Aufgabe nicht sehr leistungsstark. Bei vielen Paaren fragte man sich, wie sie auf die Idee gekommen sind, an den Start zu gehen. Teilweise war auch für mich, als Turnier-Laien sichtbar, dass der Leistungsstand noch nicht da war. Als Erfahrungsritt kann man das eigentlich auch nicht bezeichnen, da dafür eine einfache L-Dressur oder gar nur eine A-Dressur ausreicht um Turnier-Luft zu schnuppern. Auch dürfte die ein oder andere Leistung ein negatives Bild auf die zugehörigen Trainer werfen?!

Liegt es möglicherweise an Selbstüberschätzung oder zu viel Ehrgeiz?

Eine Richterin erzählte mir von einem interessanten Erlebnis: Sie kritisierte vor der Prüfung ein Reiter-Pferd-Paar, dass Nasenriemen und Sperrriemen zu eng verschnallt seien. Das Pferd atmete wohl deutlich hörbar sehr schwer. Der Vater oder Trainer (oder beides) der Reiterin kritisierte daraufhin die Richterin, was sie sich da einmische. Die Leistung des Paares war dann wohl auch relativ schlecht, da das Pferd schon so ausgelaugt war, dass es nur durchs Viereck schlurfte. Das Reiter-Pferd-Paar war fortan auf keinem Turnier mehr in der Saison gesehen.
Tatsächlich ist die Ausrüstung kein Bestandteil der Prüfung. Durchfallende Kandaren, wie man sie beispielsweise zu Hauf gesehen hat, oder ein zu weit vorn liegender Sattel flossen somit nicht in die Wertung ein, abgesehen von den Folgen wie zum Beispiel zu wenig Schulterfreiheit.

Doch leider wurden nur ein Teil der Protokolle durch die Reiter abgeholt, dabei soll das Protokoll doch auf Fehler und Richtiges hinweisen, damit der Reiter weiß, woran er arbeiten muss. Man fragt sich zwangsläufig, warum einige Reiter kein Interesse in dieses Feedback haben und warum manch Reiter sogar ungehalten werden über, das was da zu lesen ist? Der Sinn einer Prüfung ist ja nicht Geld auszugeben und seine neue Strass-Schabracke rumzuzeigen, sondern sich einem Urteil zu unterziehen, um sich letztlich weiterzuentwickeln. Wer sich dem Turnier-Trubel aussetzt, sollte m.E. auch kritikfähig sein.

Um die Ecke gedacht – Die Physik in der Kandare II

Nachdem mein Artikel über die Hebelwirkung einer Kandare zahlreiches und durchweg positives Feedback bekommen habe – Danke an dieser Stelle – habe ich auch ein 10-seitiges PDF bekommen, welches einige Punkte, die ich in meiner Ausarbeitung der Einfachheit halber ausgelassen habe, erläutert.
Ingo Driever hat sich mit den veränderten Kraftverhältnissen bei einer angewinkelten Kandare und der Springkandare beschäftigt. Er berücksichtigt dabei auch, dass der Zügel nicht wie in meiner Ausarbeitung waagerecht wirkt (also 90° zur Senkrechten der Pferdenase), sondern eher in einem Winkel von 30° zur Waagerechten.

Anmerkungen meinerseits sind kursiv gekennzeichnet.

Die angewinkelte Kandare

Bei der angewinkelten Kandare muss Zugrichtung und Anzugwinkel betrachtet werden. Selbst bei einem an die Senkrechte gestellten Pferd ist die Zugrichtung normalerweise oberhalb der Waagerechten (Wer hat seine Hände schon am Oberschenkel).
Ist bei einer 30° gebogenen Kandare die Zugrichtung 30° nach oben (rechter Winkel zwischen Unterbaum und Zügel), wirkt der volle Hebel des Unterbaums. Die wirksame Länge des Unterbaums verkleinert sich nicht, sondern die des Oberbaums. Bezogen auf die ursprüngliche Berechnung bedeutet das:

wirksame Länge Unterbaum – 5,0cm
wirksame Länge Oberbaum – 1,73cm

Also ein Verhältnis von 5:1,73 was 2,89kg bei 1kg Zuggewicht entspricht.

Eine 30° abgewinkelte Kandare bei senkrecht wirkendem Zügel

Wenn wir aus dieser Ruhestellung nun anziehen würden, würde der wirksame Hebel des Unterbaums immer weiter abnehmen. Gleichzeitig würde der wirksame Hebel des Oberbaums zunehmen, bis er bei 30° seinen höchsten Wert erreicht hat.

Die abgewinkelte Kandare weiter angenommen

Würden wir jetzt weiter anziehen, würde auch der wirksame Hebel des Unterbaums wieder kleiner werden.

Der Oberbaum steht bei 45°

Oder anders gesagt: im Gegensatz zur geraden Kandare ändert sich das Verhältnis von Ober- zu Unterbaum bei der gebogenen Kandare je nach der Winkelung der Kandare, Aufrichtung des Pferdes, Höhe der Reiterhand, Anzugwinkel und je nach dem, wie weit das Pferd an die Senkrechte kommt.
In unserem Beispiel würde die Hebelwirkung der Kandare also bei vermehrtem Anzug (und vermehrter Kraft), immer weiter abnehmen.

Beispiel: Pferd in der Senkrechten und Zugrichtung 30° über der Waagerechten

Anzugwinkel bzgl. Oberbaum
wirksame Länge Unterbaum
wirksame Länge Oberbaum
resultierende Kraft bei 1kg Anzug
5,00 cm 1,73 cm 2,89 kg
10° 4,92 cm 1,88 cm 2,62 kg
20° 4,70 cm 1,97 cm 2,39 kg
30° 4,33 cm 2,00 cm 2,17 kg
45° 3,54 cm 1,93 cm 1,83 kg

Die Springkandare

Um den komplizierten Kraftverlauf der Springkandare zu verstehen kann man sie am besten gedanklich aufteilen.
Wir stellen uns eine Lampe vor, die an zwei gleichlangen Seilen von der Decke hängt. Die Lampe wiegt 1 kg. Also zieht an den beiden Haltepunkten A und B je 0,5 Kg.
Wenn man die Zugrichtung der Lampe rückwärts verlängert, trifft diese genau in der Mitte die Verbindungslinie von A nach B.

Abstrakte Darstellung der Lampe an zwei Seilen

Wir verändern jetzt die Seillängen so, dass die Lampe unter einem Punkt, der der 1m von A und 2 m von B entfernt ist, hängt.
Die Verlängerung der Zugrichtung der Lampe teilt die Entfernung A zu B im Verhältnis 1/3 zu 2/3. Genauso verhält es sich mit den Kräften an den Punkten A und B. Wichtig dabei ist, dass die für die Bestimmung der Last maßgeblich Entfernung auf der jeweils gegenüberliegenden Seite zu suchen ist (grün, blau).

Die Position der Lampe wird verschoben

Hängen wir nun unsere Lampe ab und und bringen beide Seile wieder auf die gleiche Länge. Nun ziehen mit 1 kg an dem Seil, aber nicht nach unten, sonder schräg zur Seite. Genau so, dass die Verlängerung unserer  Zugrichtung die Linie zwischen A und B 1/3 zu 2/3 teilt. Wir haben nun wieder die gleiche Kräfteverteilung wie im letzten Beispiel.

Die Zugrichtung ändert sich

Nun ziehen wir noch schräger, so dass die Verlängerung der Zugrichtung auf einem Punkt 43 cm hinter Punkt A rauskommt. An Punkt A würden wir jetzt mit 1Kg ziehen, während das Seil zu Punkt B durch hängen würde.
Tauschen wir aber die Seile gegen Stahlstangen, würde wir an Punkt B einen Druck nach oben ausüben, während wir an Punkt A nicht mehr mit einem ganzen Kilogramm ziehen würden.

Wichtig: das Grundmaß für die Berechnung ist die Entfernung von Punkt B zu dem Punkt, wo die Verlängerung der Zugrichtung die Verlängerung von A nach B schneidet.

Rechnung:

p(A) = 3m : 3,43m x 100 = 87,463556851%, gerundet 87%
PW(A) = 87% :100 x 1kg = 0,87kg

p(B) = 0,43m : 3,43m x 100 = 12,536443149%, gerundet 13%
PW(B) = 13% : 100 x 1Kg =  0,13Kg

Statt Seilen nun Stangen

Noch einmal zurück zum vorigen Beispiel. Ersetzen wir unsere Decke nun mal durch eine Hebelwaage, deren Achse 2m von A Punkt und 1m von B Punkt liegt (schwarz).
Wir wollen wissen, welche Kraft an einem Punkt C ankommt, der 0,5m hinter Punkt B liegt. Da unsere Kräfte aber gegeneinander und dazu noch an unterschiedlich langen Hebelarmen wirken, müssen wir erst herausfinden wie viel Kraft denn überhaupt wirkt.
Der beste Weg dies zu errechnen ist der über das Drehmoment (M). Das Drehmoment ist eigentlich nichts anderes als ein um die Hebellänge bereinigte Hebelkraft.

Drehmoment = Kraft x Hebelarm oder Kraft x Radius (M = F x r).

Normalerweise wird das Drehmoment in Newton-Meter Nm (1Kg = 9,81Nm) gerechnet, aber hier nehmen wir einfach kg/m.

Rechnung:

M(A) = 0,77kg x 2m = 1,54kg/m
M(B) = 0,33kg x 1m = 0,33kg/m

Da die Kräfte in entgegengesetzte Richtungen wirken müssen wir sie voneinander subtrahieren.

M(gesamt) = 1,54kg/m – 0,33kg/m = 1,21kg/m

Um die Kraft an C herauszufinden müssen wir die Formel umstellen.

M = F x r  <=> F = M : r

Rechnung

F2 = 1,21kg/m : 1,5m = 0,75kg

Anmerkung: Dies entspricht in etwa einer Springkandare, bei der der Zügel im oberen Schlitz verschnallt ist und der Zügel nicht waagerecht sondern in ca. 30° nach oben wirkt (siehe folgendes Bild). Das D der Springkandare entspricht dem Dreieck aus A, B und dem Zugpunkt, Punkt C ist die Aufhängung am Genickriemen, die Achse entspricht der Position des Mundstücks.

Abstrahierte Springkandare mit Zügel im oberen Schlitz.
Abstrahierte Springkandare mit Zügel im oberen Schlitz.

 

Rechnen wir dies noch mal für das Beispiel, bei dem die Verlängerung der Zugrichtung 0,43m hinter Punkt A lag. Da hier beide Drehmomente in die selbe Richtung wirken, müssen wir sie hier addieren.

Rechnung:

M(A) =  0,87kg x 2m = 1,74kg/m
M(B) =  0,13kg x 1m = 0,13kg/m
M(ges) = 1.74kg/m + 0,13kg/m = 1,87kg/m

F2 = 1,87kg/m : 1,5m = 1,25kg

Anmerkung: Dies entspricht einer Springkandare, bei der der Zügel im unteren Schlitz verschnallt ist.

Und nun noch einmal, wenn die Verlängerung der Zugrichtung exakt auf Punkt A liegt.

M(A) = 1kg x 2m = 2kg/m
F = 2kg/m :1,5m = 1,33kg

Und siehe da, die maximale Kraft die wir mit 1kg Zug an Punkt C (Anm.: Aufhängung der Kandare) erzeugen können, ist exakt das Verhältnis von Kraftarm zu Lastarm ( 2m : 1,5m = 1,33).

Also gilt für die Springkandare, wie für jede gerade Kandare, der maximale Hebel ergibt sich aus dem Verhältnis von Ober- zu Unterbaum.  Entscheidend für die tatsächliche Kraftentwickelung ist der Punkt, an dem die Verlängerung des Zügels auf den Baum trifft. Dieser wird natürlich davon beeinflusst, ob man den Zügel oben oder unten verschnallt, aber genauso von der Aufrichtung des Pferdes, Höhe der Reiterhand, Anzugwinkel und je nach dem wie weit das Pferd an die Senkrechte kommt.

Fazit

Nun noch meine persönliche Meinung zum Thema Rechnen rund um die Kandare. Ich habe den ganzen Hebel Kram, schon von wirklich renommierten Reitern/Reitlehrern gehört und gelesen (z.B. Branderup im Buch „Reiten auf Kandare“).

Nur was sagen diese ganze Hebelberechnungen aus? Eigentlich gar nichts. Es wird immer wieder der Fehler gemacht die Zügelkraft einer Trense über die Hebelgesetze mit der einer Kandare zu vergleichen zu wollen. Das ist Äpfel mit Birnen zu vergleichen, da wir die ganze Zeit die Kraft berechnet haben, die am dem Punkt wirkt, an dem die Kandare am Kopfstück befestigt ist.

Die Antwort mit wie viel Kraft eine Kandare nun auf das Maul des Pferdes wirkt, habe ich noch nirgendwo gefunden.

Dabei ist die Lösung eigentlich ganz simpel. Dazu verlassen wir die Mechanik, die Lehre von Kräften in der Bewegung, und wenden uns der Statik, der Lehre von Lasten bei ruhenden Körpern, zu. Das heißt, wir betrachten nur den Augenblick in dem sich die Kräfte aufheben und die Kandare sich in einer festen Position befindet.

Wir stellen uns jetzt eine asymmetrische Balkenwaage vor (1/3 zu 2/3 Teilung), die wir in der Hand halten. An die Wage hängen wir an die einen Seite 1 kg und an der anderen Seite 2kg. Der Balken ist nun im Gleichgewicht. Wir würden jetzt 3 kg in der Hand halten (plus Eigengewicht der Waage).

Wenn die Waage jetzt nicht in unserer Hand wäre, sondern auf einem Sockel stünde, würde sie mit 3kg auf den Sockel drücken.

 

Die Statik einer Kandare visualisiert

Nun zurück zur Kandare, wir ziehen mit 1Kg am Zügel und erzeugen an der Gegenseite eine Kraft von 2kg. Der Hebel wird sich so lange bewegen bis Kinnkette und Genickstück eine Gegenkraft von 2kg aufgebaut haben. Die Kräfte heben sich in diesem Moment auf. Der Hebel bleibt in diesem Winkel stehen, und solange sich nichts ändert, wird die Kandare in dieser Stellung bleiben.

Wenn wir genau diesen Augenblick betrachten, hängen die Zügelkraft (1kg) und die Gegenkraft von Kinnkette und Genickstück (2kg) als Lasten an der Waage. Auf den Sockel, also das Maul des Pferdes, wirkt jetzt eine Last von 3kg.

Hinweis: Wie sich die Kraft von 2kg genau zwischen Kinnkette und Genickstück verteilt, würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen. Eventuell mal in einem anderen Aufsatz … später.

Lastverteilung durch Kinnkette und Genickriemen
Lastverteilung durch Kinnkette und Genickriemen

 

Meine Theorie

Leider hat die Betrachtung der Kandare als zweiseitiger Hebel in der Realität einen kleinen Schönheitsfehler. Die Achse in unseren Berechnungen, im Maul des Pferdes, ist nicht fest gelagert sondern sie bewegt sich.
Eventuell müssen wir für die Berechnung der Kraft auf das Maul das System Kandare als einseitigen Hebel betrachten. Dann wäre das Auge am Oberbaum unsere Achse und die gesamte Länge der Kandare unser Hebelarm. Dann hätte unser Hebel nun ein Verhältnis von 3/4 zu 1/4 anstelle von 2/3 zu 1/3.

Abstrahierte Kandare

Leider ist auch das Auge des Oberbaums nicht wirklich fest gelagert. In der Realität haben wir es also mit einem System zu tun, dessen Achsen sich verschieben und welches vermutlich teils als ein- und teils als zweiseitiger Hebel wirkt (vgl. Wikipedia Hebel Ruder).

Eventuell verhält es sich ja so:

1. Bei beginnendem Anzug sind die Kinnkette und Genickstück entspannt. Die Gebissstange hebt sich wohl kaum oder gar nicht. Die Hebelachse liegt auf Höhe der Gebiss-Stange.
2. Bei steigendem Anzug beginnt die Kinnkette zu wirken, um ein Verschieben des Oberbaum-Endes nach vorn zu behindern. Auf das Genickstück entsteht Zug und die Gebiss-Stange drückt sich vermehrt in die Maulwinkel und Kiefer. Eventuell beginnt sich Hebelachse zu verschieben.
3. Bei weiter steigendem Anzug behindert die Kinnkette immer mehr das Ausweichen des Oberbaum-Endes nach vorn. Es entsteht immer mehr Zug auf das Genickstück. Gleichzeitig drückt sich die Gebiss-Stange immer mehr in die Maulwinkel und Kiefer. Die Kandare beginnt zwischen  Oberbaum-Ende und Gebissstange zu rotieren. Die Hebelachse verschiebt sich also. Für die Gebissstange wird die Kandare zum einseitigen Hebel. Bezogen auf das Oberbaum-Ende wird das Verhältnis Kraft- zu Lastarm immer größer.

Die Verteilung dieser Kräfte unter realen Bedingungen zu berechnen dürfte ein ziemlich schwieriges Unterfangen werden. Eventuell lässt es sich gar nicht berechnen, sondern nur messen. Dies wäre sicherlich ein spannendes Thema für die Diplomarbeit eines Biomechanik-Studenten.

Bleibt nur noch zu sagen – frei nach Bent Branderup – „Ein Stück Stahl im Maul eines Pferdes ist nie weich“ und „die Härte eines Gebisses liegt in der Reiterhand“.

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„Um die Ecke gedacht – Die Physik in der Kandare II“ von Ingo Driever steht unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Ausgehebelt – Die Physik in der Kandare

Gleich vornweg: Ich bin kein Physiker und beim Gebrauch einer Kandare wirken weit mehr Faktoren als hier beschrieben. Des Weiteren versuche ich das Thema möglichst einfach darzustellen, weshalb ich auf korrekte Maßeinheiten und maßstabsgerechte Zeichnungen verzichte.

Vor Kurzem hatte ich eine recht interessante, bisweilen anstrengende Diskussion auf Facebook zum Thema „Kandare“. Konkret ging es um S-Kandaren und es stand die Behauptung im Raum, S-Kandaren wären um ein vielfaches schärfer als normale Kandaren. Da bin ich hellhörig geworden, weil mir diese pauschale Behauptung merkwürdig vorkam. Es stellte sich heraus, dass mein Gegenüber dem Irrglauben aufgesessen war, dass eine S-Kandare einen längeren Unterbaum hat als gerade Kandaren – wickelt man das S ab, wäre der Hebel länger und somit die ausgeübte Kraft höher.
Dem ist nicht so, denn der Hebelarm ist klar definiert als Abstand vom Angelpunkt zum Angriffspunkt. Die Form des Hebels ist dabei absolut unerheblich und wirkt sich höchstens auf das Eigengewicht des des Hebels aus. Dieser Nebenfaktor soll hier aber ausgeblendet sein.

Eine Kandare ist grundsätzlich ein zweiseitiger Hebel, wobei bei einer Dressurkandare der Kraftarm (also der Arm auf den Kraft ausgeübt wird) der Unterbaum von 5-7 cm ist und der Lastarm (also der Arm auf den die Kraft/Last wirkt) der Oberbaum von ca. 2 cm ist. In den folgenden Beispielen gehe ich stets von einem Verhältnis von 2cm Oberbaum (blau) zu 5cm Unterbaum (rot) aus. Das entspricht einer Baby-Kandare.

Ein zweiseitiger Hebel
Ein zweiseitiger Hebel

Für einen zweiseitigen Hebel gilt das Gesetzt „Kraft mal Kraftarm gleich Last mal Lastarm“. Als Formel: F1 x r1 = F2 x r2 wobei F die Kraft ist und r die Länge des Hebels. Im Falle einer Kandare mit obengenannten Längen gilt demnach, dass am Oberbaum die 2,5fache Kraft wirkt wie am Zügel. Ziehe ich also am Kandarenzügel mit 1kg wirken auf Kinnkette und Genickriemen (jeweils am Angriffspunkt des Oberbaum) 2,5kg. Die Rechnung sieht wie folgt aus:

Berechnung der Kraft
Berechnung der Kraft

Im Vergleich nun eine Dressurkandare gegen eine S-Kandare. Wie man sieht, ist unabhängig von der S-Form der Kraftarm bei beiden Kandaren gleich. Da der Oberbaum in beiden Fällen gleich lang ist, wirkt die gleiche Kraft. Im Gebrauch macht es demnach keinen Unterschied, ob man eine Dressur- oder S-Kandare verwendet. Letztere sieht vielleicht gefälliger aus.

Dressukandare und S-Kandare im Vergleich
Dressukandare und S-Kandare im Vergleich

Die Form des Unterbaums wird erst relevant, wenn der Angriffspunkt sich nicht in einer Linie mit dem Oberbaum befindet. In der Physik spricht man dann von einem Winkelhebel. Das Hebelgesetz, wie oben beschrieben, bleibt grundsätzlich gleich, es ändert sich quasi die Definition des Hebelarms.
Im Falle der Kandare kann man davon ausgehen, dass die gedachte Grundlinie in Verlängerung des Oberbaums (also analog zur Dressurkandare) verläuft und der Unterbaum nach hinten gebogen ist. Die Zugkraft wirkt senkrecht auf die Grundlinie. Es ergibt sich also zwischen Grundlinie, Unterbaum und Zugrichtung ein rechtwinklinges Dreieck und an der Ecke des rechten Winkels befindet sich der eigentliche Angriffspunkt, wie in der folgenden Abbildung dargestellt ist.

Darstellung des Winkelhebels
Darstellung des Winkelhebels

Ausgehend von einem Unterbaum von 5cm, einem Winkel von 30°, in dem der Unterbaum nach hinten gebogen ist, und einer Zugkraft von 1kg, ergibt sich für den eigentlichen Angriffspunkt und somit Hebelarm eine Länge von 4,33cm und eine ausgeübte Kraft von 2,16kg:

Berechnung von Hebelarm und Kraft
Berechnung von Hebelarm und Kraft

Ein nach hinten gebogener Unterbaum wirkt bei gleicher Länge demnach weniger stark. Zur Veranschaulichung hier nochmal der Vergleich einer „geraden“ S-Kandare und einer nach hinten gebogenen.

Zum Vergleich
Zum Vergleich

Der gleiche Effekt stellt sich bei einer Springkandare (Kimblewick) bzw. einer Friesenkandare ein. Auch hier ist der Unterbaum nach hinten gebogen und der Hebelarm demnach kürzer. Es gibt auch die Variante, dass der Unterbaum nach vorn gebogen ist. In diesem Fall greift dieselbe Rechnung und somit diegleiche Krafteinwirkung. Der Unterschied liegt in dem Weg, den der Hebel in Abhängkeit von der Kinnkette zurücklegen kann, aber dazu am Ende mehr.
Die Sprinkandare und Friesenkandare bieten die Möglichkeit, den Zügel auf selber Höhe wie das Mundstück zu verschnallen (orange). Der Winkel zur Grundlinie (Verlängerung des Oberbaums) beträgt somit 90°. Als Resultat ist der Hebelarm 0cm lang, was grafisch sehr gut deutlich wird:

Hebel senkrecht zur Grundlinie
Hebel senkrecht zur Grundlinie

Wie in der Zeichnung schon skizziert, bedeutet dies, dass keinerlei Kraft auf den Oberbaum wirkt (= 0kg). Die Zugkraft von 1kg wirkt somit direkt auf den Angelpunkt also das Mundstück und in letzter Instanz auf die Zunge. Eine Hebelwirkung exisitiert hier nicht.

Spring- und Friesenkandare mit verschiedenen Verschnallungen
Spring- und Friesenkandare mit verschiedenen Verschnallungen

Fazit

Das Fazit ist relativ einfach: Um so kürzer der Unterbaum, desto weniger Kraft wirkt auf den Oberbaum. Ein nach hinten gebogener Unterbaum wirkt kürzer und somit mit weniger Kraft als ein gleichlanger, gerader Unterbaum.

So weit so gut – weitere Faktoren

So einfach das Fazit scheint, ist es natürlich nicht. Ich bin in diesem Ausführungen vom Idealzustand ausgegangen und bin einzig auf die wirkende Kraft eingegangen. Ein wichtiger Faktor bei der Unterbaumlänge, der noch nicht zur Sprache kam, ist die „Geschwindigkeit“ mit der die Kraft ankommt.

Um eine Kandare beispielsweiese in einen Wirkungswinkel von 45° zu bringen, muss bei einem 5cm langen Unterbaum ein Weg von 3,5cm zurückgelegt werden, bei einem 7cm langen Baum ein Weg von 4,9cm. Bei jeweils gleich starker Krafteinwirkung und – geschwindigkeit, wirkt bei einem kurzen Unterbaum die Kraft quasi „eher“. Es gilt also auch: Um so kürzer der Unterbaum, desto schneller wirkt die Zugkraft.
Bei der Frage, ob kurzer oder langer Unterbaum, liegt die Antwort also irgendwo in der Mitte, denn ein kurzer, direkter Unterbaum ist nicht zwangsläufig besser als ein langer, verzögerter Unterbaum. Dies gilt es abzuwägen.

Ebenso von Bedeutung ist die Verschnallung der Kinnkette. Idealerweise sollte die Kinnkette so verschnallt sein, dass Kandare und Zügel einen 90°-Winkel bilden – zur Orientierung auch: die Kandare im Anschlag bildet einen Winkel von 45° zur Kandare in der Ruheposition. Ist die Kette enger verschnallt (also < 45°), spricht man von der strotzenden Kandare. Die Kinnkette wirkt dann sehr unvermittelt und schnell auf den Laden und bei zunehmender Kraft bildet sich quasi ein Knebel zwischen Kinnkette und Mundstück. Ist die Kinnkette zu lose eingeschnallt (also > 45°), spricht man von der durchfallenden Kandare. Nimmt man die Kandarenzügel auf, wirkt die Kinnkette erst sehr spät, so dass die Kandare fast waagerecht steht. Die Hebelwirkung tendiert also gen 0.
Bei einer nach vorn gebogenen Kandare ähnelt der Effekt eher der einer strotzenden Kandare. Um einen Wirkungswinkel von 45° zu erreichen, muss wesentlich mehr Weg zurückgelegt werden (angenommener Zügel), wobei gleichzeitig der Druck über die Kinnkette sehr früh und mit mehr Zügelaufnahme immer stärker erfolgt.

Bei der gesamten Betrachtung habe ich, wie oben erwähnt, einige Punkte außer Acht gelassen, die ebenfalls Auswirkung auf das Gesamtkonstrukt haben. So ist auch das Eigengewicht der einzelnen Abschnitte der Kandare, Form des Mundstückes (Zungenfreiheit positioniert sich parallel zum Unterbaum), Zügelführung (Handhöhe variiert den Wirkwinkel der Zugkraft) oder der Elevatoreffekt (Anheben des Mundstückes im Pferdemaul) von Bedeutung.

Zur Geschichte und Wirkweise einer Kandare kann ich als Lektüre „Reiten auf Kandare“ von Bent Branderup empfehlen.

Nice to know

Und wer sich schon immer mal gefragt hat, wozu eine Dressurkandare in der Mitte des Unterbaums je eine Öse hat: Diese Öse ist zum Verschnallen des sogenannten Scherriemen gedacht, der auch durch den mittigen Ring der Kinnkette geführt wird. Der Scherriemen soll verhindern, dass das Pferd den Unterbaum ins Maul nimmt. Bei zurückgebogenen Bäumen ist dieser Riemen überflüßig.

Tag 15 – Das 4. Buch in deinem Regal v.l.

Heute möchte ich vier Bücher vorstellen aus einem einfachen Grund: Mein Bücherregal hat natürlich nicht nur eine Etage, sondern sechs und nur in den unteren zwei Etagen stehen Bücher, die weniger zur Vorstellung taugen – konkret: Meine Briefmarkensammlung (ja, auch das noch) und das „Dr. Oethker Grundbackbuch“.

In der obersten Etage stehen Geschichstbücher und Schullektüre. Das vierte Buch von links ist eine Dokumentation über „50 Jahre Bundeswehr“. Dieses Buch habe ich im Rahmen des Tages der offenen Tür der Bundesregierung 2006 erhalten, als ich im Bendlerblock als Sitz des Bundesministeriums der Verteidigung in Berlin die Universität der Bundeswehr München mitrepräsentiert habe.

In der nächsten Etage finden sich Fachbücher zur Reiterei und die ersten Romane. An vierter Stelle steht „Reiten auf Kandare“ von Bent Branderup. Ein wunderbares Buch, von dem man aber keine Anleitung zum Reiten auf Kandare erwarten darf. Vielmehr ist ein historischer Abriss sowie eine Art wissenschaftlicher Aufarbeitung über die Wirkung von Kandaren. Ich finde es unheimlich interessant und schlage auch gern darin nach. Was ich faszinierend finde, ist, dass dieses vergriffene Buch bei diversen Händlern knapp 130 Euro kosten soll (spricht für die Nachfrage). Der Neupreis lag damals bei 30 Euro, wenn ich mich recht erinner.

In der folgenden Etage geht es mit den Romanen weiter. Auf der linken Seite finden sich einige Romane von Dan Brown und an vierter Stelle „Diabolus“. Dieser Thriller hat Kryptografie als Dreh- und Angelpunkt. Da ich vom Studium her in diesem Bereich die eine oder andere Erfahrung habe, war es sehr amüsant, dieses Buch zu lesen. Für jemanden, der keine Ahnung von Kryptografie hat, ein spannender Thriller, für alle anderen eine spaßige Abwechslung.

Zu guter Letzt findet sich die Argeneau-Reihe: eine Vampirroman-Serie von Lyndsay Sands. Das vierte Buch in dieser Reihe ist „Immer Ärger mit Vampiren“. Da die Reihe mittlerweile recht umfangreich ist, fällt es mir schwer konkret zu sagen, worum es in diesem Teil geht. Muss aber gut gewesen sein, sonst stünden nicht 13 Teile der Serie im Regal.